Viti Levu, die Hauptinsel der Fidschis. Südsee Romantik pur. Schmelztiegel zwischen Melanesien und Polynesien. Von den Fidschis hatte ich den Eindruck, als hätten sie das Christentum erfunden. Warum? Weil sie es lebten. Schon drei Wochen war ich hier an der Küste unterwegs. Und täglich wurde ich Zeuge von Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, gegenseiter Achtung, und vor allem des Teilens. Kurzum die wahre Nächstenliebe, die hier gelebt wurde. Nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.
Da mich meine Abenteuerlust nie verliess, wollte ich die Insel vom Süden in den Norden über die Berge durchqueren, dies mit meinem gemietetem Motorrad. Kurzum kaufte ich mir eine detaillierte Landkarte und war schon unterwegs. Nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, was als Nebenstrasse eingezeichnet war, in Wirklichkeit Schotterstrassen sind. Ich erahnte, dass die vorgesehenen 3 Tage, doppelt so viele in Anspruch nehmen würden. Durch die Strapazen ermüdet, legte ich schon nach zwei Tagen eine Auszeit ein. Da ich ja jetzt schon mehrere Wochen auf dieser Insel war, kannte ich mich mit den Bräuchen schon bestens aus. Stets hatte ich Kava mit in meinem Rucksack. Als Geschenk übergibt man sie jeweils dem Dorfältesten. Dieser wiederum gestattete traditionsgemäss die Gastfreundschaft, und war verantwortlich für das Wohlergehen des Reisenden. Serea hiess das Dorf, wo ich das Geschenk dem Chef des Dorfes übergab. Kava ist eine Wurzel, die man in einer Schale aufreibt und mit Wasser vermischt. Danach wird die Schale im Kreise der hierarchisch wichtigsten Persönlichkeiten getrunken. Diese dickflüssige Brühe schmeckt bitter, und hat eine sehr beruhigende Wirkung. Die Sinne werden jedoch nicht betäubt. Ich konnte mich jedoch nie so richtig mit dem Zeugs richtig anfreunden.
Abends waren wir Männer jeweils getrennt von den Frauen. Wir spielten eine Art Domino, während die Frauen sich mit Handarbeiten beschäftigten. Doch in beiden Gruppen wurde wohl gleich viel geschwatzt. Danach schliefen wir allesamt in Langhäusern, sogenannte „Bures“. Der Patriarch, Sulu war sein Name, schläft links auf einem Podium ähnlich, leicht erhöht. Als Gast wurde mir die Ehre zuteil, meine Schlafmatte neben ihm auszurollen. Neben der Bühne schliefen dann die Männer, in der Mitte die Kinder, und rechts die Frauen. Die meisten Fidschianer sind korpulent, oder um es klar auszudrücken – fettleibig. Also, so versuchte ich es jedenfalls, neben dem dicken Sulu einzuschlafen. Durch sein enormes Schnarchen, kam es mir vor, als würde er mich einsaugen, um danach wiederum auszuhauchen. In dieser Nacht war ich der einzige, der keinen Tiefschlaf fand.
„Reise doch erst Morgen wieder ab. Heute ist ein besonderer Tag. In unserem Dorf installieren wir heute das erste mal einen Fernseher. Endlich sehen wir dann in die weite Welt hinaus.“ bat mich Sulu am nächsten Morgen. Nun, Zeit hatte ich ja und bejahte seine überaus freundlich Einladung. Den ganzen Tag rieben wir die Wurzel, um dann das gewonnene Getränk zum X-ten mal zu trinken. Das Dorfleben konnte ich so also gelassen beobachten. Es war ein Sein im Einklang. Eine Harmonie des Friedens. Jeder verhielt sich respektvoll mit seinem Gegenüber, als würden sie die Gedanken des anderen erahnen. Immer liebevoll, ja sogar sinnlich. Nicht einmal die Kinder stritten sich. Von dieser Oase muss das Paradies wohl nicht weit entfernt sein, dachte ich mir.
Am späten Nachmittag kam also der so ersehnte Moment. Ein kleiner Lastwagen brachte den magischen Kasten. Die ganze Dorfgemeinschaft stand nun um dieses Ding. Von diesem historischen Moment wollte niemand, auch nur eine Sekunde verpassen. Der Chauffeur, der gleichzeitig der Techniker war, schloss den Apparat an die Energiequelle an. Ich war überrascht. Ein Videoapparat mit zwei Kassetten gab es zum Fernseher dazu. Denn es gab keinen Empfang. Das schien jedoch niemanden zu stören. Also warteten alle bis es dunkel war. Schön eingeordnet in der Hierarchie des Dorfes setzen sie sich hin. Neben Sulu, durfte ich als einziger zuvorderst auf einem Stuhl sitzen. Ganz nervös drückte er auf die Play Taste. Der Vorspann begann. Titel: Rambo. . . Während 90 Minuten sahen also die Dorfbewohner zu, wie ein einziger alles vor sich niederschoss oder stach und blutüberströmt alle seine Gegner ins Jenseits beförderte. 90 Minuten lang ein Gemetzel. Alle applaudierten und jauchzten zugleich. Endlich der Nachspann. Ich atmete tief durch. Doch sogleich stand Sulu auf und drückte auf Replay. Nach dem dritten Replay brachen heftige Diskussionen los. Junge Männer, Jugendliche und Kinder fingen sogleich den Helden des Films nachzuahmen. Mit Päng Päng Päng, du bist tot, Päng Päng, nein du, dann wurde gekämpft, und ich sah erstmals in 2 Tagen wie sich im Dorf Streit entfachte. Endlich befahl Sulu zur Nachtruhe. Gestern Nacht schliefen alle noch so friedlich, doch heute wälzten sich viele im Schlaf, oder schliefen gar nicht ein.
Am nächsten Morgen, wieder mit der Brühe in der Hand, lud mich Sulu nochmals ein. „Es gibt heute Abend nochmals einen Film, den willst du dir doch nicht entgehen lassen“ fragte er mich, und öffnete den Umschlag der Kassette. Darauf las ich „Terminator“. Dieses Mal verneinte ich die Einladung. Nach einem herzlichen Abschied fuhr ich auf meinem Motorrad los. Auf einer Anhöhe winkte ich nochmals und sah wie sich die Kinder wiederum stritten. Ich war traurig, ja sogar sehr sehr traurig. . . Das Paradies das ich vor 2 Tagen vorfand hatte seine Unschuld verloren.